Unvergessen

Vor einem Jahr, am 28. April 2016, starb Annemarie Dose, die Gründerin und Ehrenvorsitzende der Hamburger Tafel.  „Ami“, wie sie von allen, die sie kannten, genannt wurde, war eine wundervolle Frau. Stets hilfsbereit und voller Mitgefühl für andere Menschen. Besonders für die Menschen in Not. Das habe sie von ihrer Großmutter gelernt, sagte sie. Der Respekt vor der Würde der „kleinen Leute“ war ihr sehr wichtig.
„Man gewinnt Leben neu, wenn man zu helfen bereit ist“, lautete ihr Leitsatz. Danach zu leben und zu handeln begann Annemarie Dose vor allem, als sie 65 war. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Herbert ein Jahr zuvor war sie zunächst in ein tiefes Loch gefallen und verbrachte die folgende Trauerzeit hauptsächlich mit Klavier spielen. Aber dann – im Frühjahr 1994 – sah sie im Fernsehen einen Bericht über die Berliner Tafel. Annemarie Dose war begeistert und beschloss spontan: „Das kann ich auch!“

Sie fuhr nach Berlin, informierte sich einige Tage lang über über die Arbeit der dortigen Tafel – und berichtete wenig später den Freunden und Bekannten von ihren Plänen. Viele hatten Bedenken, einige hielten sie für verrückt – „vor allem meine Töchter!“

Aber die Frau ließ sich nicht beirren und legte los. Mit ungeheurem Eifer, großer Begeisterung und enormer Hartnäckigkeit war sie unterwegs. Als erfolgreiche Spendensammlerin, als Türöffnerin, als Unternehmerin in Sachen Nächstenliebe. „Geht nicht, gibt’s nicht“, war ihr Motto. „Ich habe nie eine Absage erhalten, wenn ich gefragt habe“, erzählte sie einmal. „Weder bei Unternehmern, noch bei den Banken, nirgendwo.“
Im November 1994 wurde die Hamburger Tafel gegründet und wuchs im Laufe der Jahre zu einer Einrichtung heran, die sich schnell über die Grenzen der Hansestadt einen sehr guten Namen machte. Und Annemarie Dose war die Chefin. Aber das hörte sie nicht so gerne, verwies dann auf die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter. Auf diese Truppe mit Menschen aus allen Personenkreisen war Annemarie Dose besonders stolz. Und sie blieb bei der Tafel dennoch die Chefin, die treibende Kraft, die für alle Notfälle schnell eine Lösung fand.

Im November 2012, als die Hamburger Tafel volljährig geworden war, zog sich Annemarie Dose aus dem Tagesgeschäft zurück. Aber sie hielt stets Kontakt zu ihrem „Kind“ und half sofort, wenn es nötig war. Doch Ende 2015 erkrankte sie ernsthaft und schloss am 28. April 2016 für immer die Augen. Für viele Tafel-Angehörige war das ein großer Verlust, aber die Erinnerung wird nicht sterben. Eine Mitarbeiterin brachte es auf den Punkt: „Ami, das Schönste, was du uns hinterlassen hast, ist das Lächeln auf dem Gesicht all jener, die an dich denken.“